Wolf Alice – Blue Weekend

In Reviews von Eric

Eigentlich war alles perfekt angerichtet: Ende Mai eröffneten Wolf Alice die Online-Ausgabe des Glastonbury Festivals, um die Songs ihres bald erscheinenden Albums „Blue Weekend“ Abertausenden Zuschauer*innen zu präsentieren – und dann schmierte der Live-Stream ab!
Ärgerlich für die Rock-Band um Frontfrau Ellie Rowsell, doch höchstens ein kleiner Rückschlag auf dem Triumphzug, den ihnen ihre dritte LP bescheren sollte.

Nach dem rau-rumpeligen Debüt und dem poppigeren, mit dem Mercury Prize ausgezeichneten „Visions Of A Life“ kümmern sich Wolf Alice auf „Blue Weekend“ wenig um Genregrenzen, sondern entwerfen ein großes Werk. Dass für die heutigen Twentysomethings die gesamte Pophistorie ganz selbstverständlich nur einen Klick entfernt ist, hört man an der Vielseitigkeit des Albums. Dennoch schafft es das Londoner Quartett, die verschiedenen Klänge und Einflüsse im Endeffekt als Wolf Alice erkennbar zu machen.

Die Vier eröffnen eher bedächtig, mit dem Choral „The Beach“, dem geschmeidigen California-Groove von „Delicious Things“ und dem teils überzeichnenden Americana-Stück „Lipstick On The Glass“. Der grungige Lärm, der zu einem Markenzeichen von Wolf Alice geworden ist, kommt selten und erst bei „Smile“ durch, wird aber von einem poppigen Refrain eingehegt. Richtig ab geht das an Riot-Grrrl-Bands erinnernde „Play The Greatest Hits“, dem jedoch das mit Haim’scher Pop-Attitüde ausgestatteter „How Can I Make It OK“ vorangeht. Am berührendsten ist „The Last Man On Earth“, in dem Rowsell nur zum Klavier mit den Fragen eröffnet „Who are you to ask for anything more? Do you wait for your dancing lessons to be sent from God?“, um sich dann zu einem erhabenen, Larger-Than-Life-Song aufzuschwingen, irgendwo zwischen Elton John und Regina Spektor.

Ohne die hervorragende Leistung ihrer Mitmusiker schmälern zu wollen, aber das wirklich Besondere liegt dennoch vor allem an Rowsell, die alles mitbringt, was man sich von einer Frontfrau wünscht: Charisma, Hingabe, Offenheit und Wortgewandtheit. Ob sie nun flüstert, croont oder schreit, man möchte ihr immer weiter zuhören. Ihre Texte, die zwischen Bekenntnis und Geschichte pendeln, sind auf dieser Platte so persönlich wie nie, was eine starke emotionale Atmosphäre schafft.

Der Krach ist weniger geworden auf „Blue Weekend“, die großen Songs dafür mehr. Die Hauptbühne auf dem echten, vor Tausenden matschbeschmierten Leuten stattfindende Glastonbury Festival 2022 wartet schon.

Tracklisting

  1. The Beach
  2. Delicious Things
  3. Lipstick On The Glass
  4. Smile
  5. Safe From Heartbreak (If You Never Fall In Love)
  6. How Can I Make It OK
  7. Play The Greatest Hits
  8. Feeling Myself
  9. The Last Man On Earth
  10. No Hard Feelings
  11. The Beach II