Suede – The Blue Hour

In Reviews von Jan

Die Zeit ist ein Vogel. Sie fliegt geräuschlos und unbemerkt über unsere Köpfe hinweg. Hin und wieder kräht sie schrill und erinnert uns an Kleidungsstücke, die schon lange in den Schränken verrotten und vergessen wurden. Verschlissene Doc Martens versuchen sich unter dünnen Second-Hand-Hemdchen zu verstecken, ausgeleierte Baggy-Jeans umarmen scheu verbeulte Lederjacken.

Während die Jahre so dahinfließen, sind Suede auf den höchsten Gipfel der britischen Popmusik gestiegen, tief gefallen, lautlos ausgeklungen und mit „Bloodsports“ 2013 triumphal zurückgekehrt. Album Nummer drei nach der selbstverordneten Pause knüpft nun nahtlos an „Night Thoughts“ aus dem Jahr 2016 an. Und wer damals schon behauptete, dass die Briten den Zenit der Opulenz und Düsternis erreicht haben, wird auf „The Blue Hour“ höhnisch ausgelacht.

Meterhoch stapeln sich Chöre und Streicher auf Richard Oakes‘ mal gezupfte, mal wuchtig ausladendende Gitarrenlinien. Über allem thront Sänger Brett Anderson, der das Adjektiv „subtil“ aus seinem Wortschatz gestrichen zu haben scheint. Gerade im Fall des Openers „As One“, der hart am Musical vorbeischrammt, geht diese Rechnung nur begrenzt auf. Neben erwartbaren Stücken wie „Mistress“ oder „Wastelands“, die sich gefällig in das Œuvre der Band einfügen, sind es die sich langsam auftürmenden Epen wie „Tides“ oder die von Craig Armstrong orchestrierte James Bond-Hommage „The Invisibles“, die jubelnde erste Single „Life Is Golden“ und das drängende, explodierende, Schicht auf Schicht türmende Finale „Flytipping“, die dem Album seine Brillanz verleihen.

Hin und wieder scheint Anderson vergessen zu haben, dass sich die größten Dramen im Kleinen verbergen. Gerade in den tiefen Registern seiner Stimme konnte er bisher so viel Wehmut und Sehnsucht finden, dass man ihn fast bitten möchte, sich dieser Gabe wieder zu erinnern. Bis dahin ziehen wir noch einmal die Uniform unserer Jugend an, ballen unsere Fäuste, stoßen sie an ausgestreckten Armen in die Luft und skandieren aus Leibeskräften: „You‘re never alone, your life is golden GOLDEN“.

Tracklisting

  1. As One
  2. Wastelands
  3. Mistress
  4. Beyond The Outskirts
  5. Chalk Circles
  6. Cold Hands
  7. Life Is Golden
  8. Roadkill
  9. Tides
  10. Don’t Be Afraid If Nobody Loves You
  11. Dead Bird
  12. All The Wild Places
  13. The Invisibles
  14. Flytipping