Haldern Pop – 11.-13.08.22

In Konzerte von Inken

Fotos: Inken

Das Haldern Pop ist für mich seit Jahren mal wieder ein Festival, bei dem ich mich nicht strikt an meinen „Zeitplan“ halte, sondern mich zwischendurch treiben lasse, mir zwei, drei Lieder einer Band, die ich gerne sehen mag, ausreichen und dabei allerhand Künstler*innen entdecken werde, welche ich schon jetzt nicht mehr aus meinem Musikrepertoire missen möchte. Da es auf einem Festival schon gut und gerne dazu kommen kann, dass man um die 30 Künstler*innen innerhalb weniger Tage zu Gesicht und Ohren bekommt, beschreibe ich im Folgenden meine Highlights.

Donnerstag

Los geht’s in der Kirche mit Aaron Smith aus Großbritannien. Der Singer-Songwriter steht ganz alleine in schwarzen Crocs mit seiner Gitarre auf einer schmalen Bühne, die den Altarraum vergrößert, singt gefühlvolle Songs und trifft dabei jeden Ton. Ein gelungener Einstieg! Später spielen Buntspecht auf der Mainstage. Dank meines wöchentlichen Spotify-Mixtapes wurde mir die sechsköpfige Wiener Band schon einige Male zugespielt, blieb mir jedoch nie bedeutend im Gedächtnis. Im Vorhinein schrieb ich sie trotzdem auf meine Nice-To-See-List und werde nun just in diesem Moment nicht enttäuscht. Die wogenden, treibenden, zum Tanzen mitreißenden Klänge, die ausgeklügelten Texte mit Witz und Leidenschaft, die Blasinstrumente und die spezielle Stimme des Frontsängers Lukas Klein haben definitiv Wiedererkennungswert und lassen mich gut gelaunt zu den nächsten Acts übergehen.

Einer davon ist Geese, eine New Yorker Rock-/Post-Punk-Band, welche mich bei manchen Songs an eine rohere Strokes-Version erinnert. Ja, man könnte fast meinen, eine ziemlich musikaffine wilde Schülerband steht auf der Bühne des bezaubernd funkelnden Spiegelzelts, welches ein tiefrotes Samtdach besitzt und wunderschöne bunte Fenster. Die fünf Musiker sind verdammt jung, wirken authentisch, extrem in ihre Musik vertieft und im positiven Sinne von ihren Instrumenten besessen. Linkerhand der Bühne sitzen vier Frauen, die gespannt mit der Musik mitfiebern und sich am nächsten Tag selbst noch als Band herausstellen werden.

Freitag

Der Freitag startet für mich auf dem Marktplatz. Hier ist in diesem Jahr erstmalig die Marktbühne aufgebaut, auf der wir am Vortag schon die Band Husten um Gisbert zu Knyphausen gesehen hatten. Heute dürfen wir den hawaiianischen, aus einer Musiker*innenfamilie stammenden und nun in Liverpool lebenden Eli Smart bewundern, welcher seine Musik selbst als Aloha-Soul bezeichnet. Mit der brennenden Mittagssonne im Nacken kann ich nicht anders, als barfuß zu seinen entspannendenund positiven Sounds zu tanzen. Seine Stimme erinnert mich an Mikhael Paskalev und ich bin begeistert von den unbeschwerten Rhythmen.

Danach geht es zu Meskerem Mees in die Kirche, welche ich beim diesjährigen Immergut Festival leider verpasste. Zunächst möchte ich hervorheben, dass ich ein großer Fan von akustischen Konzerten in historischen Gebäuden bin. Das Ambiente, die Beleuchtung und die Geschichte solcher Gebäude lässt das Publikum gewissermaßen noch demütiger den Klängen lauschen. Diese Rechnung geht bei diesem Konzert leider nicht ganz auf. Leider. Denn nebenan auf dem Marktplatz spielen zeitgleich Extraliscio, eine italienische Dancehall-Punk-Band und eine Seitentür der Kirche steht zum Lüften weit offen, wodurch jeder noch so zarte Ton von Meskerems glasklarer Stimme übertönt wird. Im Publikum werden verständnislose Blicke ausgetauscht und selbst beim späteren Schließen der Tür wummert der Bass durch die Kirchenwände hindurch und verschluckt die Stimmung, die Klänge der Künstlerin und den somit verbundenen Charme der Lokalität. Hinzu kommt, dass Meskerem statt 45 nur 30 Minuten spielen darf, da sie auf Grund von einer Verzögerung der vorherigen Künstlerin später anfängt. Kurz vor Schluss schaffe ich es, die unverdienten störenden Geräusche von außen so gut es geht auszublenden und mich auf Meskerems traurig schönen und gefühlvollen Gesang voller Erzählungen zu konzentrieren, welcher mich zeitweise an Regina Spektor erinnert. Bleibt das Konzept des Marktplatzes im nächsten Jahr so bestehen, wird so eine Überschneidung, denke ich, sicherlich (hoffentlich) nicht noch mal vorkommen.

Im Vorhinein waren sie mir nicht wirklich geläufig, jedoch lief das Album der New Yorker Post-Punk-Band Gustaf, in Form meiner Vorbereitung auf das Haldern,ein paar Mal rauf und runter und sie wurden somit zu einem meiner Must-Sees. Um 18:30 Uhr spielen sie im Spiegeltent und werden eines meiner größten Highlights, wenn nicht sogar DAS Highlight. Außerdem stellt sich heraus, dass die vier Frauen, die gestern Geese gespannt vom Bühnenrand beobachteten, nun selbst auf der Bühne stehen. Der Auftritt gleicht einem wunderbaren Chaos, geleitetvon der Bassline der Bassistin Tine Hill, die aus meinem Blickwinkel größtenteils von der präsenten und gut gelaunten Erscheinung der Zweitstimme und Percussionistin Tarra Thiessen verdeckt wird. Bass und Schlagzeug heizen dem Publikum ordentlich ein und führen einen roten Faden durch Gustafs Auftritt. Sängerin Lydia Gammill zieht mit ihrer Bandbreite an Gesichtsausdrücken und Grimassen das Publikum in den Bann und könnte in diesem Moment ebenso gut Method Acting betreiben. Sie scheint jedes Wort, jede besungene Situation oder Begebenheit mit der passenden Mimik und Gestik zu untermalen und falls man, warum auch immer, nicht gerade am Tanzen ist, schaut man sich das Spektakel mit großem Unterhaltungswert einfach an.

Samstag

Wir eilen zum Spiegeltent zu Chartreuse und es ertönt schon das erste Lied. Gut, dass es in diesem Jahr keine Schlange vor dem Zelt gibt und wir fix hineinschlüpfen können. Der zweistimmige Gesang wirkt sehr harmonisch, alles klingt wie auf Platte und der Sänger erinnert mich an Bon Iver.

Es ist dunkel und Kae Tempest spielt auf der Hauptbühne. In der musikalischen HipHop-/Rap-Welt kenne ich mich nicht großartig aus, bin jedoch neugierig aufgrund der ganzen Geschichten, die ich schon über Kae gehört habe. Neben Songs schreibt Kae nämlich außerde Theaterstücke, Lyrik und Romane.Anfangs fällt es mir noch schwer ihren Worten und der Vortragsweise zu folgen, doch irgendwann kann ich mich immer mehr in den bombastischen Sound und die ausgeklügelten Texte reinfühlen. Im Publikum wird es emotional, viele Augen sind geschlossen und hier und dort rollen ein paar Tränen. Trotzdem fehlt es nicht an tanzbaren Beats, gar technoiden oder housigen Arrangements.

Die nächste Band ist das Robocobra Quartet. Die Briten begrüßen ihr Publikum im Spiegelzelt, indem sie erklären, dass sie aus Nordirland kommen, oder wie sie es nennen „Nirland“. Bis ich registriert habe, dass der Drummer auch zeitgleich der Sänger ist, vergeht etwas Zeit. Die Band wirkt wie ein kleines Sound-Experiment, welches sich um Sänger und Schlagzeuger Chris W. Ryan dreht, welcher mit Lautstärke und Intensität seines Spoken-Word-Gesangs jongliert. Ich schaue den „Nirlandern“ gebannt zu und lasse mich in den Sog ihrer treibenden Rhythmen und Kompositionen ziehen. Die Band lässt sich in keine Schublade stecken, auch wenn sie durch ihre Jazzelemente ins Schema des Haldern-Bookings passt. Die Stimmung der Songs kennt mehr als einen Begriff, so rangiert sie zwischen Zorn und Vergnügtheit.

Nachdem Robocobra Quartet ihren letzten Song spielen, ist eine gewisse Unruhe zu spüren. Einige bleiben direkt in der ersten Reihe stehen, andere strömen von draußen in das Zelt hinein, um sich gute Plätze für das letzte Konzert des Samstagabends und somit des Haldern Pop Festivals zu sichern. Die letzte Band im Spiegelzelt ist Wet Leg, welche auch unter anderen Timetable-Umständen das Zelt gefüllt hätten. Spätestens beim Ohrwurm „Chaise Lounge“ bebt der Zeltboden und die Menge tanzt, pogt und hüpft umher. Ich stehe genau am Rand des Pogopits und versuche meinen Platz in der ersten Reihe zu verteidigen. Sängerin Rhian Teasdale besticht einerseits mit dem Wortwitz der Texte, ihrer coolen Art, ihrem lässigen Gesang und sie ist auch einfach eine schöne Erscheinung. So wild wie das letzte Konzert ist, so schnell ist es auch schon vorbei und die Drumsticks werden in die Menge geworfen. Das Publikum geht etwas widerwillig aus dem Spiegelzelt und wird teilweise nach längerem Verweilen von den Securities gebeten, dieses zu verlassen. Dass das Haldern Pop nun schon vorbei sein soll, fällt schwer zu glauben.

Abschließend ist noch zu sagen, dass das Haldern, so wie wahrscheinlich alle Festivals, nach Corona mit einem geringeren Ticketkauf leben musste. Dies brachte für das Publikum den Vorteil mit sich, dass sich vor besagtem Spiegeltent keine Schlange bildete, es nie komplett überfüllt war und man immer einen Platz finden konnte. Das Speiseangebot war äußerst vielseitig, die Toiletten für Festivalverhältnisse sehr sauber und ich war begeistert, dass es auf dem Zeltplatz absolut gesittet und ruhig zuging. Die Ortschaft bzw. deren Menschen waren jederzeit freundlich und bemüht, den Festivalgästen ein Willkommensgefühl zu geben. Dies könnte natürlich daran liegen, dass das Haldern Pop Festival bereits zum 39. Mal stattfindet und die Menschen, man könnte meinen mehrere Generationen, damit aufgewachsen sind und das Festivalleben lieben. Am Wegesrand werden Speisen verkauft, der Bauer neben dem Festivalgelände hat seine Türen geöffnet, lässt neugierige Kinderaugen seine Kühe und Traktoren betrachten und hat einen frei zugänglichen Toilettenwagen auf seinem Bauernhof stehen. Der örtliche Bäcker bietet sogar extra ein Festivalfrühstück an und man bekommt an allen Ecken und Wegen ein freundliches Hallo oder Moin entgegen. Beim Timetable gab es kaum Überschneidungen, was ich immer sehr nett finde und man kann guten Gewissens sagen, dass das Haldern Pop ein familienfreundliches Festival ist. Ich bin begeistert und werde das liebevoll gestaltete Haldern Pop Festival für musikaffine und musikneugierige Menschen ganz sicher noch mal besuchen.