Neufundland – Scham

In Reviews von Eric

Dem Debütalbum von Neufundland von vor anderthalb Jahren attestierten wir, dass es musikalisch wie textlich noch genug Entwicklungsmöglichkeiten für kommende Veröffentlichungen biete. Der Nachfolger „Scham“ löst einige dieser Erwartungen ein, wenn er auch nicht komplett überzeugt.

Das Kölner Quintett gibt diverse interessante Gedanken zum heutigen Zeitgeschehen von sich, zu toxischer Maskulinität, White Supremacy, Faktenverweigerung. Auch zum Titel der LP haben sie etwas zu sagen: „In einer Gesellschaft, die Freiheit für ihr Markenzeichen hält, ist Scham ein probates Mittel der Kontrolle und Regulierung. […] Und so schämen wir uns für unsere Körper, für unsere schlecht bezahlten Jobs und für zu wenige Follower auf Instagram“, schreiben die beiden Sänger Fabian Langer und Fabian Mohn im begleitenden Essay. Aber genau darin, dass sie einen Essay zum eigenen Album verfassen, zeigt sich auch das Problem von Neufundland. Sie erscheinen wiederholt zu altklug, mit zu viel Zeigefinger, zu besoffen von der Cleverness und der Dringlichkeit der eigenen Textzeilen. Andererseits möchte man Zeilen wie „Die Nacht ist jung und ich bin alt, ihr trinkt euch warm und mir ist kalt“ oder „Du wirst das glücklichste, schönste Zahnrad im Getriebe“ sofort unterschreiben.

Die begleitende Instrumentierung lässt sich als zeitgemäßer Indie beschreiben, also klassisches Band-Setup mit Betonung auf der Rhythmus-Sektion und poppiger Keyboard-Ergänzung. Das klingt alles tight und schiebt gut nach vorne, ist aber in den Songs relativ ähnlich. Ein Piano-Intro wie bei „Staub der Verlierer“ oder die Arctic-Monkeys-Gitarre bei „Liebe“ stechen dadurch hervor.

„Scham“ ist ein inhaltlich ambivalentes und musikalisch solides Album geworden. Dennoch gehören Neufundland zu den spannenden deutschen Indie-Bands.

Tracklisting

  1. Liebe
  2. Alles Lüge
  3. Männlich Blass Hetero
  4. Hochwassertouristen
  5. Disteln
  6. Viva La Korrosion
  7. Staub der Verlierer
  8. Die Nacht ist jung
  9. Eine Nagelbombe später
  10. Das Paris-Syndrom
  11. Sabotage
  12. Im Netz der Spinner